Kochbuch: Alles vom Gemüse

Das Gemüse ist in den letzten Jahren aus dem Schatten des Fleisches getreten und immer häufiger der Star auf den Tellern. Egal ob vegan gekocht oder saisonal-lokal, Gemüse ist heute weit mehr als Beilage. Erfreulicherweise stehen auch wieder vergessen gegangene Gemüsesorten auf den Speisekarten. Das diesen Herbst im AT-Verlag erschienene Kochbuch «Leaf to Root» geht noch einen Schritt weiter und verwendet auch diejenigen Gemüse-Teile, die bis anhin zumeist im Abfall oder Kompost gelandet sind. Auf den ersten Blick ist das leicht irritierend: Wer kommt schon auf die Idee mit Bananen-Schalen, Tomatenkernen, Maishaar oder Aprikosenkernen zu kochen? Beim Durchblättern des Buches wird diese Skepsis schnell durch Neugier ausgetauscht.
Denn was die zwei AutorInnen Esther Kern und Pascal Haag in «Leaf to Root» zusammengetragen haben, ist bemerkenswert. Es ist ihnen gelungen ein neues Kapitel in der Kulinarik zu öffnen – die vegetarische Antwort auf «Nose to Tail». So handelt es sich bei «Leaf to Root» um weit mehr als ein Kochbuch, es geht hier um eine Philosophie, die Esther Kern auf ihrer Foodwebseite www.waskochen.ch schon länger propagiert. Und «Leaf to Root» hat durchaus Potenzial. So kommen im Buch verschiedene renommierte KöchInnen aus Europa zu Wort, die schon länger mit Gemüse Pionierarbeit leisten: unter anderem die Nürnberger Köche Andree Köthe und Yves Ollech, der österreichische Spitzenkoch Johann Reisinger oder Stefan Wiesner (bekannt als «Hexer aus dem Entlebuch»).
Neben den 70 vegetarischen Rezepten – beispielsweise Chicoréewurzel-Ravioli mit Orangen-Vanille-Beurre-blanc, ein Melonenschalen-Chutney oder das Blumenkohlstrunk-Pannacotta mit Kapern-Vinaigrette – werden in einem ausführlichen Kompendium (65 Seiten!) die verschiedenen essbaren Pflanzenteile von A wie Ananas bis Z wie Zwiebel beschrieben. Nur schon wegen diesem einzigartigen Nachschlagewerk lohnt sich der Erwerb des Buchs. Toll sind auch die Fotos von Silvan Müller, wie wir sie schon aus «Das kulinarische Erbe der Alpen» kennen.
Selten war ein Kochbuch so ansprechend, innovativ und inspirierend. Auch wenn nicht jede Zutat aus «Leaf to Root» einfach so im Supermarkt gekauft werden kann – was hier zusammengetragen wurde verdient grosse Achtung.

Leaf to Root. Esther Kern, Pascal Haag und Sylvan Müller. Gemüse essen vom Blatt bis zur Wurzel. 320 Seiten. 59.- Franken.

Kochbuch: Inspiration

Kochbücher gibt’s wie Unkraut in meinem Schrebergarten. Die Mehrheit hat rund 100 bis 200 Rezepte. Wenns gut geht, spricht mich ein Duzend davon an; viele Bücher landen mehr oder weniger ungelesen im Regal. Und dann gibt es Kochbücher, für die man einen 2-monatigen Urlaub bräuchte, wollte man sich intensiv damit beschäftigen. Dicke Wälzer, jedes Gericht setzt sich aus mehreren Bestandteilen zusammen.

Das Eleven Madison Park-Kochbuch gehört zu letzteren. Geschrieben wurde das 384-seitige Werk vom Sternekoch Daniel Humm. Der Aargauer ist seit acht Jahren Chefkoch des Eleven Madison Park in New York, einem der renommiertesten Restaurants der Welt. Beim ersten Durchblättern wird man von der Fülle von Luxusprodukten wie Kaviar, Hummer und Trüffeln auch fast erschlagen – hier wäre weniger mehr gewesen. Doch wer sich von diesem ersten Eindruck nicht abschrecken lässt, verpasst viel. Denn Humm’s Kreationen geben viel Inspiration: Entenbraten mit Lavendelkruste, Fenchel und Pfirsich. Oder im Entenfett gebratene Möhren mit Kreuzkümmel, Weizen und Datteln. In den meisten Fällen kann man die Rezeptteile – ein Gericht besteht meist aus 5 bis 8 Komponenten – auch einzeln kochen, eine Stärke des Buches: z.B. ein Tomatentee mit Zitronenthymian oder eine zitronige Süsskartoffel-Creme zum Dessert.

Die Rezepte können trotz ihrer Komplexität problemlos nachgekocht werden. Es braucht einfach viel Geduld; für Gelegenheitsköche ist das Eleven Madison Park-Kochbuch nicht zu empfehlen. Wer sich aber Zeit nimmt, findet hier Ideen für eine kreative Küche auf höchstem Niveau.

Daniel Humm & Will Guidara. Eleven Madison Park: Das Kochbuch. Matthaes Verlag, 95 Franken

 

Kochbuch: Alpenküche

Nach der erfolgreichen Herausgabe von «Das kulinarische Erbe der Alpen» haben Dominik Flammer und Sylvan Müller einen zweiten Band mit Kochrezepten herausgegeben. Im Zentrum steht wiederum die Terroir-Küche des Alpenraums. Das Grundgerüst bilden zehn Kapitel, die sich einem Grundnahrungsmittel wie Käse, Kartoffeln oder Kohlgewächse widmen. Von bodenständig und bis exquisit findet sich hier manch überraschendes Gericht: Graukas-Suppe, Murmeltier mit dreierlei Zwiebeln oder gegrillte Lammherzen mit Birnenhonig. Bei der Beschaffung der Zutaten helfen ein Lexikon der alpinen Delikatessen und eine Liste mit Bezugsquellen im Anhang – denn Saiblingroggen, Leindotteröl oder Erdmandelmehl sind im Supermarkt schwerlich zu finden. Die Rezepte stammen übrigens von SpitzenköchInnen aus dem Alpenraum – der Bündner Andreas Caminada z.B. hat die Rezepte im Kapitel Buchweizen beigesteuert.

Eine interessante These formulieren die Autoren in der Einleitung: Regionale Küche sei kein Trend, sondern die grosse Konstante in unserer Esskultur. Lokale Küche habe seit dem Mittelalter vor allem im Krisenzeiten wie Hungersnöten oder Kriegen ihre Höhepunkte erlebt. Die heutige Lebensmittelindustrie mit ihren Skandalen sei mit diesen «Notzeiten» vergleichbar. Falsch ist diese Aussage sicherlich nicht. Nichtsdestotrotz liegt Slow-Food im Trend, von dem auch das Buch profitiert. Den Gesamteindruck trübt dieser Umstand keineswegs. Grossformatige Bilder machen das Kochbuch zum Kunstwerk, selten wird Essen so stilvoll präsentiert. Gleichzeitig gibt es viel Hintergrundwissen und tolle Rezepte mit traditionellen Zutaten der Alpenküche neu interpretiert. Ich freue mich schon jetzt auf den dritten Band.

Dominik Flammer und Sylvan Müller. Das kulinarische Erbe der Alpen. Das Kochbuch. 268 Seiten. 78 Franken.

 

Kochbuch: Gemüse – ganz gross

Die Nürnberger Köche Andree Köthe und Yves Ollech setzen ungewohnte Akzente: Obwohl die beiden in der obersten Liga kochen, sind Fleisch Fisch und nur Beilage. Im Kochbuch «Gemüse» stellen sie von Ackerwindenwurzel bis Zwiebel 52 Gemüsesorten vor – ein Foto, eine Kurzbeschreibung – und dazu ein Rezept. «Gemüse» ist kein rein vegetarisches Kochbuch, die Fisch- und Fleisch-Rezepte lassen sich aber an einer Hand abzählen.

Das tolle an diesem Buch ist, dass hier zwei Spitzenköche Rezeptkreationen präsentieren, bei denen nicht teure Edelprodukte, sondern alltägliche Zutaten im Mittelpunkt stehen: Grünkohl anstatt Gänseleber, Schwarzwurzel anstatt Scampi, Kartoffeln anstatt Kaviar. Köthe und Ollech verarbeiten dabei stets das ganze Gemüse – vom Stengel bis zur Wurzel – und zwar in allen denkbaren Zubereitungsarten: da wird gepresst, gedämpft, in Jus aufgekocht. Das ist zum Teil ziemlich arbeitsintensiv, der Aufwand lohnt sich aber. Überzeugend zum Beispiel Sellerie mit Apfel und Rucola an Macadamianusssaft. Oder Topinamubur mit Quitten an Wallnusgellee und Linsenfond. Selten findet man in einem quasi-vegetarischen Kochbuch so viele fantasievolle Geschmackskombinationen.

Feuerbohnenwurzel, Amarant oder Mauerpfeffer: Auch einige unbekannte Gemüsesorten und Zutaten bereichern die Küche von Köthe und Ollech. Allerdings dürften hier die Informationen zur Saison und Beschaffung ausführlicher sein. «Gemüse» ist kein Kochbuch für das schnelle Feierabend-Geköche. Wer sich aber Zeit nimmt, wird mit diesen Rezepten nicht nur bei VegetarierInnen gross auftrumpfen.

Tipp: In vielen Rezepten wird das Gemüse vakumiert und im Dampfgarer gekocht. So wird das Aroma intensiviert und bleibt unverfälscht. Wer keinen Steamer hat, kann das Gemüse in einem Topf mit einem sehr gut passenden Siebeinsatz und gut schliessendem Deckel dampfgaren.

Andree Köthe, Yves Ollech. Gemüse. Tre Torri, 224 Seiten. 66.90 Franken.

Kochbuch: Gar nicht buh

Zuerst fallen die imposanten Landschaftsbilder auf. Grossflächig imponiert die Weite des Albulapasses, der farbige Herbstwald im Val Chamura findet sein Fortsetzung auf einem Teller mit Gamsschulter. Der Kreis von Natur und Nahrung schliesst sich in der Chesa Piran im Engadiner La Punt, wo Daniel Bumann seit acht Jahren zusammen mit seiner Frau Ingrid wirtet. Nationale Bekanntheit hat Bumann mit einer Sendung auf 3+ erreicht, wo er schlecht laufende Restaurants wieder auf Vordermann bringen soll.
Im Kochbuch «Einfach Bumann» stellt der Walliser eine Auswahl seiner Rezepte vor, dabei auch zwei Safran-Menus, für die er bekannt geworden ist. Die Gerichte sind schlicht und doch raffiniert. Aus simplen Zutaten macht Bumann tolle Kreationen. Zum Beispiel ein im Ofen gebackenes Kartoffelküchlein. aussen Kartoffelstock, innen rosettenartig geschichtete Scheibchen. Das sieht nicht nur toll aus, es schmeckt auch gut – meine Variation mit blauen Kartoffeln hat schon mehrfach überzeugt. Besonders raffiniert ist ein Fenkelsüppchen mit grünen Apfel und marinierten Lachs. Dabei macht Bumann aus einem Fenchelfonds und Dill ein Gelee, das er mit dem Lachs füllt und zu grünen Kugeln formt. Diese sehen wie ein Apfel aus, dieser ist aber püriert in der Suppe. Die Mehrzahl der Rezepte sind jedoch erstaunlich einfach: etwa ein Brotknödel mit einer Morchel und etwas Bärlauch, eine gebratene Rehschulter mit Pastinaken oder ein Küchlein mit gebrannter Safran-Honig-Creme.
«Einfach Bumann» ist durchwegs gelungen, «glustig» und liefert viele Ideen. Da kann man die etwas übertriebene Selbstinszenierung des Wirtespaars gerne überblättern. Bumann kocht gar nicht buh. Bravo!

Einfach Bumann. Collection Rolf Heyne, 237 Seiten. 77.90 Franken.

 

Kochbuch: Zwiebeln deluxe

Die berühmteste Bioköchin der Nation hat ihr erstes Kochbuch herausgeben. Mit Vreni Gigers «Meine Frischmarktküche» kann man auch ohne Hummer und Kaviar kulinarisch brillieren.

Vreni Giger gehört zu den ganz Grossen der Schweizer Spitzengastronomie und ist trotz ihrem Erfolg bodenständig geblieben. Mit «Meine Frischmarktküche» gibt die Appenzellerin ihr Debüt als Kochbuch-Autorin und präsentiert 80 Rezepte aus dem St. Galler Jägerhof, wo sie seit 15 Jahren wirkt (mit unterdessen 17 Gault Milau-Punkten). Doch wer mit Sterneküche Hummer, Stopfleber und Kaviar gleich setzt, wird bei Giger eines anderen belehrt. In der saisonalen Bioküche der 37-jährigen Bauerntochter stehen Süsswasserfiche aus dem Bodensee, Wildpflanzen wie Brennnesseln und einheimische Pilze im Mittelpunkt. Exemplarisch für Gigers Küche ist die geschmorte Zwiebel mit Speckzander: das Alltagsprodukt Zwiebel wird zuerst im Salzbett gegart, danach ausgenommen und mit Rahm bis zur Vollendung verfeinert – selten war eine Zwiebel so köstlich oder wie es Giger selber sagt «einfach gut». Ihre Küche sei «nicht gekünstelt und nicht durchgestylt, sondern muss primär im Gaumen gut sein», schreibt Giger im Vorwort.

Beim Durchblättern des Kochbuchs fallen dann aber zuerst doch die grossformatigen Fotos auf. Neben den Abbildungen der kunstvollen Gericht finden sich auch Aufnahmen von Bodensee, Appenzell und dem Jägerhof – Giger’s Naturverbundenheit wird so nochmals hervorgehoben. Die Rezepte sind knapp beschrieben und mit einem soliden Grund-Fachwissen gut nachzukochen. Begrüssenswert ist, dass Giger Rezepte gänzlich ohne Meeresfisch auskommen und sich zahlreiche vegetarische Gericht im Buch finden: Bärlauchgnocchi mit Morcheln, mit Quark und Ei gefüllte Riesenravioli an St. Galler Trüffel oder Salbeipapardelle mit Artischocken. Als kleines Manko ist anzufügen, dass Giger mit den Tipps, welche bei einzelnen Gerichten angehängt sind, zurückhaltend ist. Auch die Warenkunde ausführlicher sein dürfte: Wo bekommt man Wacholder-Latwerge, was genau ist Räuchermehl? Ansonsten ist Vrenis Gigers jedoch ein ausserordentlich schönes und inspirierendes Kochbuch gelungen.

Vreni Giger. Meine Frischmarktküche. AT-Verlag. 98.- Franken. Erscheint Ende Oktober.

Erschienen im Surprise Nr. 262, November 2011.